Page 143 - Vinkler, Jonatan, in Jernej Weiss. ur. 2014. Musica et Artes: ob osemdesetletnici Primoža Kureta. Koper: Založba Univerze na Primorskem.
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der Weltherrschaft deutscher Musik aus, die über gesellschaftliche oder poli-
tische Unterschiede hinaus reichten.13
Der ausdrückliche Hinweis auf die Evolutionstheorie als Grundlage der
Musikwissenschaft findet sich bei Arthur Prüfer (1860-1944). Bereits 1895
in einem Vortrag über „Die gegenwärtigen Aufgaben der Musikgeschichte“14
spricht er davon, dass die Wissenschaft „das Grundgesetz von der organischen
Entwickelung auf allen Gebieten natürlichen, wie geistigen Lebens aufgestellt
und nachgewiesen hat“.15 Das Evolutionsdenken, das die „Culturvölker“ an die
Spitze des geistigen Fortschritts stellt, ist hier unverkennbar. In seiner An-
trittsvorlesung als nichtplanmäßiger außerordentlicher Professor am 10. Mai
1902 in der Aula der Universität zu Leipzig verweist Prüfer auf „die Darwin-
sche Selektionstheorie, [und] die Evolutionstheorie Herbert Spencers“, um zu
behaupten, dass „die Musik eines Volkes in noch höherem Grade, als die Spra-
che, wahrhaftigster Ausdruck seiner jeweiligen Kulturstufe“ sei.16 Damit ist die
Musik als maßgebliche Instanz des Sozialdarwinismus zugunsten einer um-
fassenden deutschen Hegemonie installiert.
Das musikhistorisch angewandte „Grundgesetz von der organischen
Entwickelung“ konnte Prüfer 1901 auch in dem Beitrag von Oswald Koller
über „Die Musik im Lichte der Darwinschen Theorie“ im Jahrbuch der Mu-
sikbibliothek Peters ausformuliert finden.17 Ungerührt wendet Koller die
„Gesetze des organischen Lebens auf das geistige Gebiet“ an, er war sogar der
Meinung, dass dem Kunsthistoriker ein viel lückenloseres Material zur Ver-
fügung stehe als dem Naturhistoriker und „dank der Freiheit und Beweglich-
keit des menschlichen Geistes dieser Umwandlungsprozess viel rascher vor sich“
13 Oskar Fleischer, Mozart (Berlin, 1900), sieht in Mozart den ersten Vertreter deutscher „Weltherr-
schaft“ (S. 132). Er beginnt sein Buch mit dem Namen Darwins: „Darwins Lehre von der Vererbung
läßt sich für den Menschengeist scheinbar am besten in der Kunst der Töne nachweisen.“ (S. VII) Das Buch
ist erschienen in der Reihe: Geisteshelden. (Führende Geister.) Eine Sammlung von Biographien,
Bd. 33. Damit ist es geradezu ein Musterbeispiel für die Verbindung von Geniekult, Evolutions-
denken und deutschem Herrschaftsanspruch und die gesellschaftliche Dominanz dieser Vorstel-
lung. Für den freundlichen Hinweis danke ich Wolfgang Ruf.
14 Arthur Prüfer, Die gegenwärtigen Aufgaben der Musikgeschichte. Vortrag, gehalten in Leipzig, am 29. April
1895 (Leipzig, 1896).
15 Op. cit., 2. Arthur Prüfer, Die gegenwärtigen Aufgaben der Musikgeschichte. Vortrag, gehalten in Leipzig,
am 29. April 1895 (Leipzig, 1896).
16 Op. cit., 7f. Arthur Prüfer, Johann Sebastian Bach und die Tonkunst des neunzehnten Jahrhunderts. An-
trittsvorlesung gehalten am 10. Mai 1902 in der Aula der Universität zu Leipzig. Für den Druck an einigen
Stellen geändert und erweitert (Leipzig, 1902).
17 Oswald Koller, „Die Musik im Lichte der Darwinschen Theorie,“ in Jahrbuch der Musikbibliothek
Peters für 1900, 7 (1901): 35-50.
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der Weltherrschaft deutscher Musik aus, die über gesellschaftliche oder poli-
tische Unterschiede hinaus reichten.13
Der ausdrückliche Hinweis auf die Evolutionstheorie als Grundlage der
Musikwissenschaft findet sich bei Arthur Prüfer (1860-1944). Bereits 1895
in einem Vortrag über „Die gegenwärtigen Aufgaben der Musikgeschichte“14
spricht er davon, dass die Wissenschaft „das Grundgesetz von der organischen
Entwickelung auf allen Gebieten natürlichen, wie geistigen Lebens aufgestellt
und nachgewiesen hat“.15 Das Evolutionsdenken, das die „Culturvölker“ an die
Spitze des geistigen Fortschritts stellt, ist hier unverkennbar. In seiner An-
trittsvorlesung als nichtplanmäßiger außerordentlicher Professor am 10. Mai
1902 in der Aula der Universität zu Leipzig verweist Prüfer auf „die Darwin-
sche Selektionstheorie, [und] die Evolutionstheorie Herbert Spencers“, um zu
behaupten, dass „die Musik eines Volkes in noch höherem Grade, als die Spra-
che, wahrhaftigster Ausdruck seiner jeweiligen Kulturstufe“ sei.16 Damit ist die
Musik als maßgebliche Instanz des Sozialdarwinismus zugunsten einer um-
fassenden deutschen Hegemonie installiert.
Das musikhistorisch angewandte „Grundgesetz von der organischen
Entwickelung“ konnte Prüfer 1901 auch in dem Beitrag von Oswald Koller
über „Die Musik im Lichte der Darwinschen Theorie“ im Jahrbuch der Mu-
sikbibliothek Peters ausformuliert finden.17 Ungerührt wendet Koller die
„Gesetze des organischen Lebens auf das geistige Gebiet“ an, er war sogar der
Meinung, dass dem Kunsthistoriker ein viel lückenloseres Material zur Ver-
fügung stehe als dem Naturhistoriker und „dank der Freiheit und Beweglich-
keit des menschlichen Geistes dieser Umwandlungsprozess viel rascher vor sich“
13 Oskar Fleischer, Mozart (Berlin, 1900), sieht in Mozart den ersten Vertreter deutscher „Weltherr-
schaft“ (S. 132). Er beginnt sein Buch mit dem Namen Darwins: „Darwins Lehre von der Vererbung
läßt sich für den Menschengeist scheinbar am besten in der Kunst der Töne nachweisen.“ (S. VII) Das Buch
ist erschienen in der Reihe: Geisteshelden. (Führende Geister.) Eine Sammlung von Biographien,
Bd. 33. Damit ist es geradezu ein Musterbeispiel für die Verbindung von Geniekult, Evolutions-
denken und deutschem Herrschaftsanspruch und die gesellschaftliche Dominanz dieser Vorstel-
lung. Für den freundlichen Hinweis danke ich Wolfgang Ruf.
14 Arthur Prüfer, Die gegenwärtigen Aufgaben der Musikgeschichte. Vortrag, gehalten in Leipzig, am 29. April
1895 (Leipzig, 1896).
15 Op. cit., 2. Arthur Prüfer, Die gegenwärtigen Aufgaben der Musikgeschichte. Vortrag, gehalten in Leipzig,
am 29. April 1895 (Leipzig, 1896).
16 Op. cit., 7f. Arthur Prüfer, Johann Sebastian Bach und die Tonkunst des neunzehnten Jahrhunderts. An-
trittsvorlesung gehalten am 10. Mai 1902 in der Aula der Universität zu Leipzig. Für den Druck an einigen
Stellen geändert und erweitert (Leipzig, 1902).
17 Oswald Koller, „Die Musik im Lichte der Darwinschen Theorie,“ in Jahrbuch der Musikbibliothek
Peters für 1900, 7 (1901): 35-50.
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