Page 141 - Vinkler, Jonatan, in Jernej Weiss. ur. 2014. Musica et Artes: ob osemdesetletnici Primoža Kureta. Koper: Založba Univerze na Primorskem.
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teren schreibt: „Die Einsicht ferner ist nothwendig, dass es sich nicht bloß um
einen künstlerischen, sondern zugleich allgemein menschlichen Fortschritt han-
delt, dass die Erneuung der Kunst von einer sittlichen Wiedergeburt ausge-
hen muss.“5 Eine nochmalige Überhöhung der Musik erreichte Arthur Scho-
penhauer, der sie als direkte Manifestation des Weltwillens und als höchste
Welterkenntnis installierte. Sie verband sogar idealistische und materialisti-
sche Weltanschauungen. Derart philosophisch untermauert, besaß die Mu-
sik im Weltbild der bürgerlichen Gesellschaft eine extraordinäre Position, ga-
rantierte sie ihren Vertretern, insbesondere den Komponisten (mit Richard
Wagner als erfolgreichstem Vertreter) doch höchsten sozialen Status. Daran
änderten auch kulturkritische Stimmen mit pessimistischen Verfallsszenari-
en nichts, da sie nur allzu gerne auf die Musik als Mittel der Heilung und Er-
lösung rekurrierten.

Die Weiterentwicklung des Evolutionismus hin zur Rassenlehre, wie sie
nicht nur durch Arthur de Gobineau betrieben wurde, fand große Resonanz
im Bayreuther Kreis um Cosima Wagner insbesondere durch Ludwig Sche-
mann und Houston Stewart Chamberlain.6 Die gesamte Bewegung gehört
in den vielgestaltigen Komplex des Sozialdarwinismus,7 dessen kulturelle Di-
mension Elvin Hatch so umrissen hat,

daß im 19. Jahrhundert die populärste Auffassung von den Ursprüngen des Men-
schen auf der Annahme einer Feedback-Schleife zwischen kultureller und geistiger
Evolution als Resultat des lamarkschen Effekts basierte: Eine avanciertere Kultur
stimulierte das menschliche Gehirn zu geistiger Aktivität auf höherem Niveau, was
wiederum noch höhere Ebenen der Kulturentwicklung ermöglichte.8

Eine Variante zu der Vorstellung von einem derartigen Rückkopplungseffekt
findet sich bei August Weismann (1834-1914), dem bedeutenden Vordenker
des Neodarwinismus, in einem Vortrag „über Musik bei Thieren und beim

5 Franz Brendel, Die Musik der Gegenwart und die Gesammtkunst der Zukunft (Leipzig: B. Hinze,
1854), 247.

6 Wanda Kampmann, Deutsche und Juden. Studien zur Geschichte des deutschen Judentums (Heidelberg:
L. Schneider, 1963) 319: „Die Konventikler und Pamphletisten des primitiven Antisemitismus erhielten eine
unerwartete Bestätigung aus dem Bereich der hohen Bildung. Mit der Theorie des Sozialdarwinismus ließen
sich Chamberlains Lehren leicht verbinden, das geschah alsbald in alldeutschen Kreisen, die ihn verehrten.“

7 Kurt Bayertz, „Sozialdarwinismus in Deutschland 1860-1900,“ in Charles Darwin und seine Wirkung,
hrsg. Eve-Marie Engels (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2009), 178-202.

8 Peter J. Bowler, „Herbert Spencers Idee der Evolution und ihre Rezeption,“ in Die Rezeption von
Evolutionstheorien im 19. Jahrhundert, hrsg. Eve-Marie Engels (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1995),
309-325, hier 321 mit Bezug auf Elvin Hatch, Theories of Man and Culture (New York: Columbia
University Press, 1973).

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