Page 84 - Vinkler, Jonatan, in Jernej Weiss. ur. 2014. Musica et Artes: ob osemdesetletnici Primoža Kureta. Koper: Založba Univerze na Primorskem.
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musica et artes

Ich nehme Ihre freundliche Einladung mit größtem Vergnügen an, wäre es auch
nur, um meinen schrecklichen Verbannungsort für kurze Zeit zu entfliehen. Was
ich hier leide, ist nicht zu beschreiben u. da gerade jetzt die Sonne lustig in mein
Zimmer scheint[,] will ich keine schwarzen Schatten heraufbeschwören, aber mün-
dlich sollen Sie von allen Greueln haarklein unterrichtet werden.16

Doch bald nach seiner Rückkehr aus Mayerling hatte er sich einge­
wöhnt und begann am 16. Februar mit der Vertonung der Mörikegedichte
sein Hauptwerk: die fünf umfangreichen Liederbücher. Er erinnerte sich:
»Im Winter 88 mir plötzlich nach langem Herumtappen der Knopf aufgegan-
gen. In raschester Reihenfolge Mörike, Eichendorff und Goethe komponiert,
„Spanische“ soeben zum Abschluß gebracht (44 Gesänge). Gott wolle mir noch
langes Leben und viele gute Einfälle schenken!«17

Wolf komponierte den größten Teil seiner Gedichte von Eduard Möri-
ke für eine Singstimme und Klavier (HWW, 1-53) zwischen Februar und Mai
1888 in Perchtoldsdorf, das er in seinen Manuskripten ortsüblich Petersdorf
oder in der niederösterreichischen Dialektform Pedaschturf nannte. Er mu­
ßte danach das Haus verlassen, denn die Familie Werner bezog es für ihren
Sommeraufenthalt. Die folgenden Lieder entstanden daher nach einer länge-
ren Unterbrechung im Oktober 1888 in Unterach am Attersee, wohin ihn der
befreundeten Fabrikant Friedrich Eckstein eingeladen hatte.18 Die letzte Ver-
tonung, Auf eine Christblume I, schrieb er wieder in Perchtoldsdorf am 26.
November 1888. Er arbeitete voller Begeisterung an den Mörike-Liedern. An
seinen Schwager Joseph Strasser schrieb er am 23. März:

Ich arbeite mit tausend Pferdekräften von früh bis in die Nacht, ununterbrochen.
Was ich jetzt aufschreibe, das, lieber Freund, schreibe ich auch schon für die Nach­
welt. Es sind Meisterwerke. […] seit 22. Februar bis zum heutigen Tage 25 Lieder
komponiert, von denen eins das andere übertrifft, darüber es unter Musikverstän-
digen nur eine Stimme gibt, dass seit Schubert und Schumann nichts ähnliches da
war etz. etz. etz. etz., so magst Du Dir vorstellen, was das für Lieder sind.19

16 Brief aus Perchtoldsdorf an Therese Preyss in Wien vom 1. Februar 1888, in Hugo Wolf. Briefe, Bd. 1:
Briefe 1873-1901. Mit Kommentar vorgelegt von Leopold Spitzer (Wien: Musikwissenschaftlicher
Verlag, 2010), Nr. 218, 255. Erstabdruck bei Heinrich Werner, Hugo Wolf in Perchtoldsdorf (Anm. 6),
26. Die Mängel wurden für den nächsten Winteraufenthalt behoben.

17 Brief aus Perchtoldsdorf an Oskar Grohe in Mannheim vom 2. 5. 1890, in Hugo Wolf. Briefe, Bd. 1,
Nr. 347, 349f., Zitat S. 250.

18 Er wohnte auch häufig in dessen Wiener Haus in der Siebenbrunngasse 15.
19 Brief an Joseph Strasser in Bruck an der Mur vom 23. März 1888, in Hugo Wolf. Briefe, Bd. 1, Nr. 235,

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