Page 83 - Vinkler, Jonatan, in Jernej Weiss. ur. 2014. Musica et Artes: ob osemdesetletnici Primoža Kureta. Koper: Založba Univerze na Primorskem.
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hugo wolf in perchtoldsdorf: uber die mörike-lieder

­Freund­schrieb er: »Diese wundervolle Fernsicht, dieser freie Blick! Was bra-
uch ich da noch mehr? Die Perchtoldsdorfer Luft ist doch merkwürdig, immer
fällt mir was ein dahier.« 11 Dieses Salettl nannte Wolf Häuslein Windebang,
inspiriert durch das Mörike-Gedicht Der Knabe und das Immlein, das er
1888, bald nach seiner Ankunft, vertont hatte (siehe die abschließende Analy-
se). In Perchtoldsdorf bezog er das große Wohnzimmer im 1. Stock. Heinri-
ch Werner, Sohn der Gastgeber und später Besitzer des Hauses, beschrieb den
damaligen Zustand des »prächtig großen, luftigen und lichten Zimmers« sehr
anschaulich:

Wolf hatte bei seinem Einzug in dieses Zimmer an der Einrichtung so gut wie
­nichts geändert. In der Mitte des Zimmers blieben der große runde Tisch, auf dem
er Briefschaften, Tabak, Bücher, manchmal spärliche Lebensmittel wahllos ausge­
breitet hatte, und die alten ledergepolsterten Sessel. Unter dem großen Wandspie-
gel mit seinen großen Ochsenaugenrahmen wurde ein Bett postiert, neben das Kla-
vier, einem Prombergerflügel, dessen Spitze in eine Zimmerecke verlief, kam ein
kleiner, zum Schreibtisch adaptierter Tisch, Glasschrank und eine Kommode,
Waldmüller’sche Familienporträts[12] blieben an Ort und Stelle, auf einem kleinen
Rohrtischchen prankte seine blanke Non plus ultra-Kaffeemaschine und später
eine elektrische Zündmaschine, auf einem hölzernen Kleiderhalter in einer Ecke
das aufgehangene Kautschukschaffel,[13] ein für ihn unentbehrliches Requisit, in
dem er täglich des Morgens seine kalten Waschungen vornahm.14

In den ersten Tagen seines Aufenthaltes vertonte Wolf am 24. Jänner
1888 von Robert Reinick das Gesellenlied HWW 160/1 und von Heinrich
Heine »Wo wird einst« HWW 161/1.15 Er hatte zunächst Eingewöhnungs-
schwierigkeiten, obgleich die Gastgeberin ihn auf Unannehmlichkeiten des
Wohnens im Winter vorbereitet hatte, vor allem auf die unzureichende Hei-
zung. Auch verstand er sich mit dem Gärtnerehepaar, das das Haus betreute,
nicht. Er litt zunächst sehr darunter und schrieb bald nach seiner Ankunft an
Therese Preyss, die Schwester der Gastgeberin, nach Mayerling:

11 Zitiert nach Rudolf Baldrian, „Das Hugo-Wolf-Haus in Perchtoldsdorf,“ Österreichische Musikzeit-
schrift 8 (1953): 65.

12 Ferdinand Georg Waldmüller (1793-1865) ist der bedeutendste Wiener Künstler des Vormärz.
Seine Porträts, Landschaftsbilder und Genreszenen weisen über die Ästhetik des Biedermeier
hinaus. Bekannt ist seine Hochzeit von Perchtoldsdorf.

13 Schaffel nennt man einen großen Behälter.
14 Werner, Hugo Wolf in Perchtoldsdorf (Anm. 6), 20,
15 Alle Titel und Datierungen der Werke nach Margret Jestremski, Hugo-Wolf-Werkverzeichniw

(HWW). Thematisch-chronologisches Verzeichnis der musikalischen Werke Hugo Wolfs (Catalogus
musicus XIX) (Kassel etc.: Bärenreiter, 2011).

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